Florenz an der Elbe

 
 

Diese Reise entstand in Zusammenarbeit mit dem Elberadweg.

“Als ich nach der Augustusbrücke kam, die ich schon so gut aus Gemälden kannte, kam es mir vor, als ob ich schon früher einmal im Traum hier gewesen wäre.”
— Hans Christian Andersen über Dresden (1755)

Blick auf die “Wiege Sachsens” – die Albrechtsburg in Meissen

Unsere Reise startet dieses Mal mit einem Vorsatz: Nicht Kilometer wollen wir zählen, sondern Erlebnisse. In Sachsen lässt sich das hervorragend umsetzen, denn kaum ein Land birgt so viele Kulturschätze auf engstem Raum. Der erste Teil unserer Reise von Riesa nach Pirna führt uns durch das prächtige Dresdner Elbtal. Hier ist der Elberadweg von beeindruckenden Schlössern, Burgen und Gärten gesäumt. Begleitet werden wir auf diesem Abschnitt immer wieder von einem Mann:  Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen und König von Polen. Als absolutistischer Herrscher hat er das Elbtal mit barocker Herrlichkeit geschmückt und sich hier mit seiner endlosen Sammel- und Bausucht ein Denkmal gesetzt. Auf dem zweiten Abschnitt von Pirna bis an die tschechische Grenze erwartet uns eine ganz andere Landschaft, jedoch nicht weniger majestätisch und stolz als die zuvor. Ihren Glanz verdankt sie diesmal nicht einem nach Repräsentanz strebenden Herrscher. Hier war es Mutter Natur selbst, die sich über Jahrmillionen an den Sandschichten eines Kreidemeeres abarbeitete und dabei ein faszinierendes Gebirge formte, welches wir heute die Sächsische Schweiz nennen. Nach unserer 5-tägigen Reise sind wir überzeugt davon, dass die schönste Art, zwischen diesen beiden Welten zu reisen, die mit dem Fahrrad ist.

Wir wünschen Euch viel Freude beim Lesen!


Tag 1: Riesa – Meissen

Zurück am großen Strom

Wir sind zurück auf dem Elberadweg! Innerhalb von fünf Tagen wollen wir uns entlang der Elbe von Riesa bis nach Schmilka an die tschechische Grenze schlängeln. Wir sind am Vorabend bereits in Riesa angereist, um ganz entspannt nach Meissen starten zu können. Es passt uns ganz gut, noch ein bisschen Zeit für Riesa zu haben. Seit unserem ersten Elbabenteuer sind wir bekennende Fans der Stadt und freuen uns, vielleicht ein paar neue Ecken zu entdecken. An diesem Abend übernimmt Reinier die Regie in der Ausflugsgestaltung. Er möchte unbedingt Richtung Stadtteil Gröba radeln. Hier haben seine ehemalige Kollegen von Graco Berlin an vier Häuserfassaden Gröbas Vergangenheit wieder aufleben lassen und einen Hufschmied, einen Fleischer, eine Kirchschule und ein Kolonialwarenladen an die Hausfassaden gemalt. Ein wunderschönes Werk, welches Riesa der engagierten Bürgerinitiative “Wir in Gröba” verdankt.

Der erste Tourentag beginnt für uns mit einem Glas Sekt im Hotel Wettiner Hof. Ich bin überglücklich: Es ist mein Geburtstag und als Geschenk liegt ein neues gemeinsames Abenteuer auf dem Elberadweg vor uns. Wie fast jedes Jahr ist es herrlichstes Wetter an diesem Tag Anfang Juni, Mohn- und Kornblumen leuchten uns den Weg Richtung Elbmündung nach Süden. Der Elbstrom ist heute lange unser Begleiter, keine Sehenswürdigkeiten stehlen ihm auf diesem Abschnitt die Show. Kurz vor Schänitz begegnen wir dann doch einer Sehenswürdigkeit, auch wenn diese sicherlich in keinem Reiseführer erwähnt wird. Neben einer Streuobstwiese haben wir einen nostalgischen DDR-Kinderspielplatz entdeckt. Obwohl das Gras hoch steht, wirkt dieser nagelneu, wie frisch gestrichen. Die in die Erde eingelassenen Autoreifen, das sich drehende Kinderkarussell und einige Fliegenpilze versetzen mich zurück in meine Kindheit. Wer wie ich im „Osten“ groß geworden ist, erinnert sich vielleicht auch noch an den typischen Kletterpilz, der bis zur Wende auf keinem Spielplatz fehlen durfte.““Wenn ich es gut anstelle, wird dieses Motiv das Highlight auf meinem Farbfilm“, rufe ich juchzend Reinier zu und krame in Windeseile nach der Kamera. Reinier hört mich nicht, er ist dabei, mein Fahrrad mit Hilfe von unseren Spanngurten in ein großes buntes Klettergerüst zu hängen. Man könnte meinen, er wolle es sich einfacher machen, die Radkette zu ölen. Aber ich denke, ein anderer Faktor war hier der Antrieb: Spaß zu haben. Wie schön, dass es Orte wie diese gibt, die uns wieder Kinder werden lassen.

Unterwegs auf der Sächsischen Weinstraße

Die blühenden Wiesen und weiten Äcker weichen bald einer neuen Landschaft mit immer höher werdenden Uferhängen. Wir erreichen das Elbhügelland mit seinen sonnenverwöhnten Weinterrassen. Eine bedeutende Kulturlandschaft, in der seit 850 Jahren Weinbau betrieben wird. Die Sächsischen Weingüter sind trotz der langen Geschichte noch relativ jung. Da es in der DDR nur staatlichen Weinbau gab, werden die meisten privaten Betriebe in der ersten oder zweiten Generation nach der Wende bewirtschaftet. Die Weinterrassen werden hier von fruchtbaren Lehm-Löß-Böden getragen und sind die Grundlage für weltweit geschätzte Raritäten wie den nur hier angebauten Goldriesling. Mit rund 500 Hektar Rebfläche ist Sachsen ein sehr kleines Weinanbaugebiet. Nur 0,2% der gesamten Weinmenge Deutschlands wird hier erzeugt. Die neue Umgebung gefällt uns sehr. Nirgendwo sehen wir trostlose Schottergärten oder schrille Hauswandfarben, sondern gemütliche Häuser mit alten Obstbäumen und üppigen Stauden- und Gemüsegärten.

Nach unserer ersten Elbüberquerung mit der Fähre in Niederlommatzsch erreichen wir das Elbweindorf Diesbar-Seußlitz. Es markiert den Beginn der 55 km langen “Sächsische Weinstraße”. Wahrzeichen des Ortes ist die „Heinrichsburg“, ein kleines romantisches Weinberghäuschen, oberhalb des Schlossparks. Trotz der Mittagshitze besteigen wir den Weinberg. Fast wähnt man sich, in Italien gestrandet zu sein. Über den historischen Friedhof mit beeindruckenden Grabdenkmalen gelangen wir ins Innere der Schlosskirche, die ihr jetziges Erscheinungsbild niemand geringerem verdankt, als dem Schöpfer der Dresdner Frauenkirche: George Bähr. Der frei zugängliche Schlosspark erweist sich als erholsamer Schattenspender an diesem heißen Tag. Während Reinier auf einer Bank kurz die Augen schließt, wandere ich nochmal durch das verträumte Anwesen mit seinen Sichtachsen im französischen und englischen Gartenbaustil und seinen wunderschönen Skulpturen. Am liebsten würden wir noch länger verweilen und in eine der gemütlichen Weinstuben am Elbufer einkehren. Leider werden wir schon an unserem nächsten Etappenziel erwartet. Zurück auf dem Elberadweg braucht es nur noch wenige Elbschleifen, bis sich die malerische Silhouette Meissens am rechten Ufer zeigen wird.

Das Geheimnis des weißen Goldes

So einen herrschaftlichen Anblick genießen wir als Radfahrende nicht alle Tage. Majestätisch thront der Meißener Burgberg mit seiner “Akropolis”, der spätgotischen Albrechtsburg, hoch über der Elbe. Was für ein Empfang! Wir beziehen in der gemütlichen Altstadt unterhalb der Burgmauern eines von sechs Märchenzimmern unterm Dach eines fast 500 Jahre alten Hauses. Wir ziehen uns um und tauchen für den Rest des Nachmittags in die Erlebniswelt der berühmten Meissener Porzellanmanufaktur ab. Hier erwartet uns eine spannende Führung durch 300 Jahre Porzellangeschichte.

Ein Drama in mehreren Akten ist dabei die Geschichte des Porzellan-Erfinders Johann Friedrich Böttger, der sich seinerzeits als Apothekergehilfe mit alchemistischen Künsten befasst. Durch seine größenwahnsinnige Behauptung, er könne Gold herstellen, gerät er in die Fänge adliger Machthaber. Sachsens Kurfürst August der Starke - aufgrund seines ausladenden Lebensstils stets in Geldnöten - zwingt Böttger so lang zu laborieren, bis er als “Goldmacher” erfolgreich ist. Zwar scheitern Böttgers Experimente, aber der Universalgelehrte Ehrenfried Walter von Tschirnhaus lenkt Böttgers Erfinderdrang weg vom Gold hin zum Porzellan. In Europa herrscht zu jener Zeit innerhalb des Adels eine regelrechte “Porzellankrankheit“. Jenes weiße Gold aus China ist aber aufgrund der aufwendigen Produktion und langen Transportwege praktisch unbezahlbar. In gemeinschaftlicher Teamarbeit finden Tschirnhaus und Böttger schließlich das “Arkanum”: das Geheimnis der Porzellanherstellung. Sachsen, nun im Besitz des fernöstlichen Schatzes, gründet daraufhin 1710 auf der Albrechtsburg die erste Porzellanmanufaktur Europas. Chinas Monopol ist gebrochen und der Reichtum des Kurfürsten gesichert. Böttger kehrt als Triumphator zurück, stirbt jedoch zehn Jahre später an den Folgen der jahrelangen Arbeit mit giftigen Essenzen. Heute ist Meissener Porzellan eine Marke von Welt und das größte Aushängeschild sächsischer Kulturgeschichte.

Nach der Führung demonstrieren uns mehrere Mitarbeitende in der hauseigenen Schauwerkstatt wie die berühmten Meissener Designs entstehen. Besonders beeindruckt sind wir von den Handgriffen der Porzellanbossiere. Sie gestalten und formen winzig kleine Dekoelemente wie Blätter und Blüten komplett von Hand und machen so jedes Stück zu einem Unikat. In einem weiteren Raum können wir beobachten, wie in der Unterglasur das berühmte Zwiebelmuster entsteht. Für das Auftragen der Motive braucht man eine ruhige und sichere Hand, denn es gibt kaum Möglichkeiten zur Korrektur. Im Anschluss wird das Porzellan glasiert und bei etwa 1400 Grad Celcius gebrannt. Dabei verändert sich das Grün zum berühmten leuchtenden Kobaltblau. Absolute Meister ihres Fachs sind auch die Meissner Malerinnen und Maler. Die Farben, die sie im letzten Vorführraum mit feinen Pinseln auf das Porzellan auftragen, werden unter höchster Geheimhaltung im manufaktureigenen Labor hergestellt. Hier entsteht Kunsthandwerk in Vollendung. Nach dem Rundgang sind wir sprachlos.

Wie gut, dass das Museumscafé als nächstes auf unserer Liste steht. Wir nehmen uns Zeit für die sicherlich stilvollste Kaffeepause unserer Reise - selbstverständlich nur mit echtem Meissener Porzallan, wie die blauen, gekreuzten Schwerter auf dem Geschirr bestätigen. In der Führung hatten wir zuvor erfahren, dass diese immer noch einzeln auf jedes Porzellanstück von Hand aufgetragen werden. Eins nehmen wir uns abschließend an der Kaffeetafel fest vor: In Zukunft wollen wir das Kaffeetrinken aus Porzellantassen wieder mehr zelebrieren!

Mit unserem letzten Event-Highlight sind wir diesem Vorhaben plötzlich ganz nah. Als ein Angebot der Erlebniswelt Meissen gestalten wir zum Abschluss noch unsere ganz eigene Porzellan-Henkeltasse in blauer Kobaltfarbe für Zuhause. Während für mich klar ist, dass ich mich an einem klassischen Zwiebelmuster versuchen möchte, wird Reinier mutiger und selbst kreativ. Unter professioneller Anleitung lernen wir, wie vielfältig ein Pinsel eingesetzt werden kann und mit welchen Haltetechniken es besser mit der ruhigen Hand klappt. Als wir fertig sind, hinterlegen wir noch unsere Adresse, an die uns die gebrannten und glasierten Werke nach Hause geschickt werden. Die Vorfreude auf die eigene, von uns designte Meissen Mug ist riesig. Als wir nach über vier Stunden die Porzellanmanufaktur wieder verlassen, wissen wir, dass wir zukünftig Porzellan nie wieder als “überladenen Kitsch” betrachten werden.

Glücklicherweise ist jetzt noch ausreichend Zeit, sich innerhalb der schnuckeligen Meissener Altstadt mit ihren hübsch restaurierten Kaufmannshäusern die Beine zu vertreten. Ziel des Spaziergangs ist die Albrechtsburg auf dem Burgberg. Einst als Burg angelegt und Machtzentrum der Mark Meißen, wurde aus ihr später ein repräsentatives Wohnschloss und beherbergte 150 Jahre lang die Meissener Porzellanmanufaktur. Über den „Oberen Promenadenweg“ bummeln wir zurück in die Altstadt. Besonders beindruckt sind wir von den ökologisch wertvollen Weinterrassen an den Burgmauern, ein kleines Paradies hoch über der Altstadt. Am Abend finden wir uns wieder an unserem 500-jährigen Handwerkerhaus ein. Feine Currynoten kitzeln unsere Nase, denn im Erdgeschoss unseres Gästehauses befindet sich ein charmantes indisches Restaurant. Bei authentischer indischer Küche genießen wir eine langsam einkehrende Ruhe, bevor wir glücklich und zufrieden in unserer Dornröschenhecke unterm Dach verschwinden. Ein fantastischer erster Tag!

Tag 2: Meissen – Dresden

Weine mit Zukunft

Der zweite Tag beginnt mit einem geschockten Blick in unsere Wetter-App. Sie zeigt uns tiefblaue Regengebiete von Meissen bis zur tschechischen Grenze. Obwohl wir meist auf alles gut vorbereitet sind, haben wir nichts, absolut nichts für solch eine Wetterüberraschung eingepackt. Glücklicherweise erweist sich die zwischen Meissen und Bad Schandau verkehrende S-Bahn als Retterin in der Not. Gerade mal 10 Minuten benötigt sie bis nach Radebeul, unserem nächsten Ziel. Radebeul ist bekannt für die Lößnitzgrundbahn, für Karl May und natürlich seine historischen Weinberge. In genau diesen befindet sich Schloss Wackerbarth, wo wir am Vormittag schon erwartet werden.

Auf Europas erstem Erlebnisweingut verbinden sich gekonnt Barocker Glanz und höchster Weingenuss. Auch unser sächsischer Sonnenkönig Friedrich August I. liebte Wein und feierte hier ausladend mit seinen Gästen. Er ließ das Schloss von seinem Vertrauten Graf August Christoph von Wackerbarth im 18. Jahrhundert errichten. Obgleich der graue verregnete Himmel unser Toskana-Feeling etwas getrübt hat, sind wir beim Betreten der Anlage sofort in einer anderen Welt. Mit Kommunikationsleiter Martin Junge tauchen wir beim Rundgang in die wechselvolle Geschichte der Anlage ein. Wir staunen nicht schlecht über diesen traumhaften Ort, der sich ganzjährig mit zahlreichen Events zu Musik und Kulinarik gekonnt in Szene setzt.

Auch uns Wein-Rookies wird mit dem Blick auf die historischen Weinbergterassen und dem architektonisch einmaligen Lustschloss “Belvedere“ reichlich Expertise, aber auch reiner Wein eingeschenkt. Die am Weinberg verlegten historischen Sandsteinmauern umfassen eine Fläche von 23.000 Quadratmetern. Martin Junge berichtet von den großen finanziellen Herausforderungen, die so eine denkmalgeschützte und stark sanierungsbedürftige Trockenmauer mit sich bringt. Von der Sonne aufgeheizt, sorgen die Mauern für zusätzliche Wärme im Weinberg. Erst ihr Bau steigerte die Qualität und ermöglichte in diesen Breitengraden eine bessere Reifung der Trauben. Sie zu erhalten ist jedoch eine Aufgabe für Generationen. 92 Hektar Rebflächen werden durch Schloss Wackerbarth kontrolliert und nachhaltig bewirtschaftet, 2022 folgte die Prämierung mit dem Nachhaltigkeitssiegel „FairChoice“. Bevor es für uns zur ersehnten Weinprobe geht, schauen wir noch im Keller vorbei, der sich in einem modernen Flachbau befindet. Um den komplexen Herstellungsprozess eines Cuveés zu vermitteln, bedient man sich hier einer ganz besonderen Methode. Das zwischen den Weintanks tanzende Licht und die dazu einsetzende klassische Musik veranschaulichen eindrucksvoll, wie hier verschiedene Weine zu einem hervorragenden Cuveé “komponiert” werden. Auch die nebenan kopfüber lagernden Sekte der Manufaktur gehören zur Weltspitze. Sie entstehen auf Schloss Wackerbarth - ganz klassisch - mit der „Méthode champenoise“, auch Flaschengärung genannt.

Ob unsere bereits knurrenden Mägen jetzt der bevorstehenden Verkostung standhalten? Im edlen Gutsmarkt knallen zum Abschluss die Korken und Martin Junge überzeugt uns mit einigen Verkostungsproben und Hintergrundwissen von der besonderen Qualität der hier produzierten Cool-Climate-Weine. Während es aufgrund des Klimawandels in anderen Weinbaugebieten einigen Trauben langsam zu warm wird, begünstigen die noch kühlen Nächte des Elbtals die Bildung ausgeprägter Fruchtaromen. Und wir stimmen zu. Der ausgewogene Säuregehalt und die Feinfruchtigkeit ist ganz nach unserem Gusto. „Cool-Climate Weine sind Sachsens Zukunft“, schwärmt Martin Junge und verabschiedet sich schon zum nächsten Termin. Zu schade, dass für unsere Verkostungslieblinge in den Radtaschen kein Platz ist. Der nächste Wolkenbruch verschiebt glücklicherweise den Aufbruch noch etwas. Geschützt unter der Terrasse des Gutsmarktes, genießen wir noch ein bisschen länger das sächsische “La dolce vita“.

Schnuggelisches Kleinod

Bevor wir Richtung Dresden aufbrechen, machen wir noch einen Abstecher in den Stadtteil Altkötzschenbroda, in dem noch ein kleiner Teil des alten Radebeuls überlebt hat. Der Ort mit dem lustigen Namen entpuppt sich als herrliches Kleinod mit Galerien, Lädchen und malerischen Hinterhöfen. Am Ende des zauberhaften Dorfangers stoßen wir auf die Friedenskirche. Hier besiegelte 1645 der Waffenstillstand zwischen Sachsen und Schweden das Ende des 30-jährigen Krieges. Ein Tipp: Wenn ihr hier eine Pause einlegt, solltet ihr unbedingt den Blick vom Kirchturm in Richtung Elbwiesen genießen. Achtet nur darauf, euch auf den Minibalkonen gut festzuhalten, wenn euch das plötzliche Gebimmel der Kirchenglocken durch Mark und Bein geht.

Barocke Herrlichkeit

Trocken erreichen wir Dresden! Wir lieben die Aura dieser Stadt sehr. Ihren Glanz und ihre Kulturschätze verdankt sie dem Herrscher und Visionär, dem wir auf dem Elberadweg bereits mehrfach begegnet sind: Friedrich August I. In seiner Vorstellung sollte aus der Residenzstadt Dresden ein barockes Gesamtkunstwerk entstehen: ähnlich dem venezianischen Canal Grande mit prächtigen Gebäuden und einem kulissenhaft bebauten Elbufer. Eine “Elbflorenz” eben. Doch nicht nur das. Er und auch sein Sohn August II. machten aus Dresden eine Kulturmetropole von europäischem Rang. Bis heute.

Hier am Theaterplatz schmiegen sich Dresdens bauliche Meisterwerke eng aneinander. Wir haben keine Lust mehr auf das dichte Wolkengrau und erhoffen uns einen Rausch der Farben in der Gemäldegalerie Alte Meister. Ein lang ersehnter Besuchswunsch, für den wir trotz nahender Schließzeit noch zur Kasse hechten. Mit beinahe entschuldigendem Blick sputen wir viel zu schnell durch die Ausstellungsräume. Meisterwerke von Cranach, Vermeer, Dürer, Tizian und Rembrandt sind hier in großer Dichte in prächtigen Goldrahmen aufgehängt. Unser Ziel ist der Raum der Räume mit dem Gipfelwerk der Hochrenaissance: Raffaels “Sixtinische Madonna” aus dem 16. Jahrhundert. Heute so bekannt wie Da Vincis Mona Lisa, erwarb es 1733 nach Jahren zäher Verhandlung Friedrich August II., als die Klosterkirche San Sisto in Piacenza in Geldnot geriet.. Auch sein Vater entdeckte schon im Alter von 17 Jahren seine Sammelleidenschaft. Als Friedrich August I. seine Gemälde mit 52 Jahren inventarisieren ließ, dauerte die Zählung der 3592 Gemälde ganze 6 Jahre.

Augusts Liebe für das Repräsentative beschränkte sich aber nicht nur auf Porzellan und Kunstwerke, er war auch vom Orangenfieber gepackt. Tausende von Orangen- und Zitrusgewächsen setzen seinem Repräsentationswahn noch die Krone drauf. 1709 erhielt Oberlandbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann von ihm den Auftrag, im Zwingergarten der alten Dresdner Festungsanlage eine Orangerie zu errichten. Schnell wandelte sich das Areal jedoch von dieser zu einem repräsentativen Festareal, in dem in den umliegenden Pavillons auch die kurfürstlichen Sammlungen ihren Platz finden. Nach politischen Rückschlägen sollten der Dresdner Zwinger nun Augusts volle herrschaftliche Stärke demonstrieren.

Aktuell müssen wir für diese erstrebte herrschaftliche Außenwirkung leider etwas Fantasie aufbringen. Denn der prächtige Zwingerhof gleicht einer Mondlandschaft. Ebenfalls keine Spur ist hier von den seit 2017 wieder ansässigen Orangenbäumchen - auch diese sind aufgrund der großflächigen Bauarbeiten ausgelagert. Erst ab 2025 wird der weltberühmte Dresdner Zwinger wieder zu altbekanntem Glanz zurückfinden. Enttäuscht sollte man dennoch nicht sein und stattdessen die Geschichte des Zwingers in der atemberaubenden neuen Erlebnisausstellung Zwinger Xperience erleben.

In altbewährter Pracht präsentiert sich hingegen die 101 Meter lange Ahnengalerie “Fürstenzug” in der Nähe der Frauenkirche. Für ihre Erneuerung, die bereits 30 Jahre nach der Einweihung nötig war, wurden 23.000 Fliesen der Meissner Porzellanmanufaktur verwendet. Die besonders witterungsbeständigen Tafeln trotzten sogar der Hitze der schweren Bombennächte 1945 – lediglich 650 Kacheln wurden während der kriegerischen Auseinandersetzungen beschädigt. Abends spazieren wir noch über die blühenden Elbwiesen zum Elbufer. Hier, wo der junge Maler Bernardo Belotto, auch bekannt als Canaletto, 1848 seine berühmte detailreiche Dresden-Ansicht malte, schauen wir sehnsuchtsvoll auf das vor uns schimmernde Elbflorenz. Ohne Zweifel: die Stadt ist ein Kunstwerk. Das Panorama ist dank seiner beeindruckenden Frauenkirche auch wieder komplett. Auch ihr hatten wir kurz zuvor noch einen Besuch abgestattet. Ihre Ruine, die über Jahrzehnte das Stadtbild prägte, war Symbol für ein Dresdener Trauma - die geliebte Barockstadt, die binnen einer Nacht ausradiert wurde. Erst nach der Wiedervereinigung beschloss man den umstrittenen Wiederaufbau. Ganze 10 Jahre dauerten die Arbeiten, die von den Dresdner Bürgern unterstützt wurden. Dank engagierter Denkmalpfleger konnten sogar 4000 der alten und verrußten Steine gerettet und in der neuen Kirche verbaut werden. Heute zählt die Frauenkirche zu Deutschlands wichtigsten Touristen-Magneten und wenn wir behaupten, ihr Anblick ließe uns kalt, würden wir lügen. Als es dunkel wird, machen wir uns auf den Heimweg in unser kleines Bed & Breakfast Mezcalero in einem Hinterhof der “Äußeren Neustadt”. Das Stadtviertel, in dem auch Schriftsteller Erich Kästner aufwuchs, erinnert uns sehr an unseren Kiez in Berlin: ein kreativer, lauter und alternativer Stadtteil, in dem heute vor allem junge Familien, Künstler und Studenten zu Hause sind. Zwischen Gründerzeitbauten und Streetart lassen wir den Tag in einer der kleinen Bars bei einem verdienten Etappen-Bierchen ausklingen.

Tag 3: Dresden – Rathen

Auf dem sächsischen Canale Grande

Unser dritter Tourentag startet mit einem gemütlichen Frühstück in unserem kleinen Bed & Breakfast. Wir haben herrlich geschlafen und sind bereit für das große Tourenfinale in der Sächsischen Schweiz. Links der Elbe geht es hinter Dresden auf einem fast zu schmalen Elberadweg weiter. Hier begleitet uns die Glanzkulisse der Stadt noch eine Weile, der Anblick der Waldschlößchenbrücke aber schmerzt. Durch ihren Bau entzog die UNESCO der "Kulturlandschaft Dresdner Elbtal" den Welterbe-Titel. Als nächstes passieren wir die drei schönen Elbschlösser auf der anderen Uferseite und sind schon fast am “Blauen Wunder” angelangt. An der berühmten Brücke aus dem 19. Jahrhundert wechseln wir Fahrspur gegen Fahrrinne und legen ganz spontan mit dem eleganten Schaufelraddampfer “Leipzig” Richtung Pillnitzer Schloss ab. Ein bisschen fühlen wir uns der Zeit entrückt, als wir mit dem Schiff, welches auf eine mehr als 180-jährige Geschichte zurückblickt, über die Elbe schaufeln. Nächster Halt: Schloss Pillnitz.

Heitere Sorglosigkeit in Pillnitz

Am Schloss Pillnitz angekommen, geht uns - als bekennende Garten- und Architekturliebhaber - das Herz auf. Was für ein Ort! Kurfüst August I. erfüllte sich hier in Pillnitz seinen Venedig-Traum. Mit Unterstützung seines Hofarchitekten Pöppelmann, der bereits den Zwingerbau verantwortete, wird Pillnitz umgebaut. Mit neuen Gebäuden wie dem Wasser- und dem Bergpalais sowie der Schaffung eines großzügigen barocken Lustgartens, wird Pillnitz zum Lustschloss und zur Sommerresidenz des sächsischen Hofes. Vorbild in der Gestaltung ist das Schloss des chinesischen Kaisers. Fortan spiegelt sich fernöstliche Exotik in den Pagodendächern, den Malereien auf den Fassaden und Schornsteinen wider. Wie durch ein Wunder wurde Pillnitz bei der Zerstörung von Dresden 1945 verschont und blieb ein grünes Paradies für die Dresdner Bevölkerung.

Wir wollen uns zwei Stunden Zeit für eine Besichtigung nehmen. Als wir das Prospekt mit dem Wegweiser aufschlagen, ahnen wir, dass dies möglicherweise sehr optimistisch geplant ist. Allein die Parkanlage ist riesig, bestehend aus Englischem, Chinesischem und Holländischem Garten, einer Orangerie, 8 Heckengärten und dem zentralen Lustgarten im Herzen der drei Palais. Unsere erste Station ist das Palmenhaus mit vielen botanischen Schätzen aus Australien und Neuseeland. Eine Pillnitzer Schönheit, die sich seit 1801 hier befindet, reklamiert sogar ein eigenes Winterhaus für sich: die Pillnitzer Kamelie. Seit 1992 schiebt sich im Herbst ein eigenes Gewächshaus auf Schienen über das inzwischen baumgroße Gewächs. Von Februar bis April kann sie sich vor Bewunderern kaum retten, wenn sie bis zu 35.000 rote Blüten bildet. Auf unserem weiteren Weg begegnen wir zahlreichen Baumpflegern, die uns auf Nachfrage etwas über ihre wichtige Arbeit erzählen. Ihr Wissen ist in Pillnitz gefragt. Die fast 200 Jahre alten Bäume gehören zu den wertvollsten in ganz Sachsen.

Das Pflanzenwissen, welches wir heute haben, hätte zu seiner Zeit auch Kurfürst August I. geschätzt. Der Monarch hatte ein Faible für Botanik und schmückte sich gern mit fremdländischen Pflanzen. Das Wissen um diese war um 1800 aber noch sehr lückenhaft, wie wir in der Sonderausstellung “Pflanzenfieber” erfahren. August erhob den Pillnitzer Garten zur Botanischen Sammlung und studierte in den Sommermonaten in nachmittäglichen Botanikstunden täglich 30 bis 40 Pflanzenarten. Möglicherweise hoffte er, in so manch exotischer Pflanze ein neues Statussymbol zu entdecken.

Wie dieser Park wohl zu Kurfürst Augusts Zeiten ausgesehen haben mag? Das haben sich auch die Entwickler der Pillnitzer Panoramabank gefragt. Mehrere dieser Bänke laden Besucher an spannenden Blickachsen ein, Platz zu nehmen, den QR-Code zu scannen und mit Ihrem Smartphone in Gartenwinkel verschiedener Epochen einzutauchen. Besonders die Bank im Lustgarten ist ein Highlight. Ein kleines Stück königlichen Alltags begegnet uns am Ende der Tour im Schlossmuseum des Neuen Palais. Hier lernen wir Dresdens einzigen klassizistischen Kuppelbau kennen: die rekonstruierte Königliche Hofküche mit ihren beeindruckenden Hochwassermarken, sowie die Katholische Kapelle. Auch im Kuppelsaal hat man die Möglichkeit, sich dank modernster VR-Experience in verschiedene Epochen zu beamen und die Details der von Carl Christian Vogel von Vogelstein bemalten Wände aus der Nähe zu betrachten.

Die 2 Stunden, die wir in Pillnitz verbringen, kann man wirklich nur als Schnupperkurs verbuchen. Was für eine Fülle an Botanik, Gartenbautradition und Geschichte. Vielleicht sollten wir uns bei unserem nächsten Besuch direkt in einem der drei historischen Ferienhäuser im Schlosspark einquartieren, damit wir dann auch das Wichtigste in Pillnitz dabeihaben: Zeit.

Eine Stadt wie gemalt

Wir freuen uns, auch beim nächsten Ziel noch ein bisschen länger in unser barocken Zeitkapsel zu verweilen. Wir sind zum ersten Mal in Pirna zu Gast, eine schmucke Kleinstadt, die auch “Tor zur Sächsischen Schweiz” genannt wird. Pirnas Aushängeschild ist zweifelsohne die nahezu originalgetreu erhaltene Altstadt mit dem berühmten Canalettoblick. Wie zuvor auch in Dresden, schuf hier der venezianische Maler Canaletto 11 faszinierend detailgetreue Stadtansichten. Die wohl berühmteste stammt vom Markt im Herzen der Stadt. Betritt man diesen, wähnt man sich in einem Gemälde. Da wir heute Abend in einem Hostel fernab größerer Einkehrmöglichkeiten übernachten, entschließen wir uns, am sogenannten “Canalettomarkt” für ein Abendbrot mit Köstlichkeiten aus der Umgebung einzukaufen. Im kleinen Eckgeschäft Hofladen 15 gibt es Regionales in bester Qualität direkt von Bauern der Umgebung. Besitzer Carsten ist selbst Landwirt in der Sächsischen Schweiz und gibt mit einer großartigen Auswahl, seinen regionalen Kollegen ein Gesicht. In seinem Laden, der nicht größer als eine Altbauküche ist, finden wir frisches Brot, herzhafte Wurst, Ziegenkäse und natürlich besten Wein aus Sachsen. Wir können kaum glauben, dass uns das Angebot auf 14 Quadratmetern komplett überfordert, aber Carsten hilft uns, alles für eine perfekte Jause zusammenzustellen. Von Pirna sind es jetzt noch gute 60 Minuten bis zum Hinterland Hostel in Rathen.

Im schönsten Hinterland

Der kleine Kurort Rathen liegt direkt an der Basteifähre inmitten des Nationalparks Sächsische Schweiz. Der Weg führt jetzt wieder am Wasser entlang, wir erkennen die ersten zerklüfteten Felsformationen und bestaunen märchenhafte Holzvillen. Nach 2 fast durchgehend bewölkten Tagen, kämpft sich die Sonne wieder durch und macht Lust auf diese Etappe.

Das Hinterland Hostel liegt fast am Elbufer, unweit der Fähre in Rathen. Das zum Hostel ausgebaute Gehöft von 1870 ist eine richtige Perle am Elberadweg und genau unser Ding. Mit Hilfe von Freunden und Familie hat Gastgeber Christoph hier seine Vision eines “Grünen Hostels” umgesetzt. Umweltfreundliches Reisen, das Schätzen einheimischer Kultur, sowie das Schonen von Ressourcen sind Aspekte, mit denen wir uns ebenfalls identifizieren. Das Hostel ist liebevoll selbst ausgebaut, es gibt u.a. Ökostrom, Pelletheizung und sogar eine Solikasse. Wir staunen Bauklötze über so viel Liebe und Idealismus. In den Gemäuern des historischen Wohnhauses befinden sich 29 Gästebetten, aufgeteilt in Doppel- oder Viererzimmern, einer Familiensuite samt eigener Küche und Bad oder dem Schlafsaal, welcher sich wahlweise auch als Seminarraum nutzen lässt. Wir parken unsere Räder in der Scheune, die uns mit einem Kamin, einer Leseecke und vielen Sitzgelegenheiten zum Plaudern und Kennenlernen einlädt. Die Wohlfühlatmosphäre, die das Team hier schafft, ist bewundernswert.

Wir checken in unserem kleinen Doppelzimmer, der “Bilchbude” ein. Es liegt im Erdgeschoss mit Blick in den Garten und verfügt sogar über einen kleinen Waschtisch. But first things first! An der Rezeption haben wir einen Getränkekühlschrank entdeckt. Prost! Wir gönnen uns ein kühles Radler im wunderschönen Garten des Hofes und sehen uns ein bisschen um. Kräuterschnecke, Gewächshaus, Lagerfeuerplatz, Sitzgelegenheiten - kaum angekommen, stimmt es uns fast traurig, morgen wieder abzureisen. Noch dazu ist gerade Hostelhund Schmitti dabei, unsere Herzen zu erobern. Auch die anderen Gäste sind international, sympathisch und offen. Und so dauert es nicht lang, bis wir auf Gleichgesinnte treffen. Wir lernen einen sympathischen jungen Australier kennen, der sich gerade den Traum einer Europareise erfüllt, sowie ein Dresdner Bikepacker-Pärchen mit stolzen 89 Lenzen, die hier gemeinsam im Stockbett übernachten. Obwohl es in der Gemeinschaftsküche in der Scheune alles zum Kochen gibt, bleibt unsere Camperküche heute kalt. Wir freuen uns auf die Köstlichkeiten, die wir im Hofladen in Pirna gekauft haben. Wir richten Fenchelsalami, Brot und Ziegenkäse auf einem Holzbrett an und setzen uns draußen in die warme Sommernacht. Ach, nichts schmeckt besser nach so einem Tag wie Abendbrot unterm Sternenhimmel.

Fortsetzung folgt …


 
 

Welche Sehenswürdigkeiten habt Ihr schonmal auf diesem Streckenabschnitt besucht? Verrate es mir gern im Kommentarfeld!

Dani Pensold1 Comment