Indian Summer in Oder-Spree

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Im letzten Jahr äußerten meine wunderbaren ehemaligen Arbeitskolleginnen einen Wunsch: “Wir wollen endlich mit Dir und dem Rad raus, am liebsten das ganze Wochenende!”. Die Planung übernahm ich nur zu gern und kurze Zeit später rollten wir einem perfekten Indian Summer im Landkreis Oder-Spree entgegen.


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Unser Startpunkt ist ein Ort mit dem etwas lustigen Namen Finkenheerd. Der Himmel ist trüb und wir müssen noch einen Moment warten, bis die goldene Oktobersonne das Land und uns etwas auftaut. Den wunderschönen Friedrich-Wilhelm-Kanal, auf den wir direkt stoßen, entdeckte ich vergangenen Sommer mit einer Radgruppe auf dem Heimweg vom Helenesee nach Frankfurt/Oder. Der Kanal war einst die erste Verbindung zwischen Oder und Spree und hatte ursprünglich 14 Schleusen und 8 Brücken. Über 200 Jahre war er der wichtigste Handelsweg zwischen Wroclaw (Breslau) und Hamburg.  Nach dem Ende des 2. Weltkrieges entwickelte sich die älteste Binnenwasserstraße Deutschlands zu eine einzigartige Naturidylle, die heute unter Denkmalschutz steht. Der wunderschöne asphaltierte Radweg bringt uns schnurstracks zum Helenesee. Eigentlich liegt dieser heute nicht auf unserer Strecke, aber ich kann nicht der Versuchung widerstehen, meinen neuen “Seenliebling” der Gruppe zu zeigen. Auch im Herbst hat der Helenesee, der zu den saubersten und klarsten in ganz Deutschland gehört, nichts von seinem Zauber eingebüßt. Der dichte Kiefernwald umrahmt die am Ufer in voller Kraft leuchtenden Birken. Wir suchen uns eine kleine Bucht und gönnen uns die erste kleine Pause mit Tee und Müsliriegeln.

Ein verträumtes Bachtal

Mit etwas warmen Tee im Bauch machen wir uns auf Richtung Mixdorf. Kaum ist die Sonne hinter den Wolken hervorgekrochen, nimmt das farbenfrohe Schauspiel der Natur seinen Lauf und der ganze Zauber des herbstlichen Schlaubetals liegt vor uns. Es dauert nicht lang und der Wald neckt unsere Nasen mit Pilzaromen. Wir springen von den Rädern und beschließen dem Herbst eine letzte Chance zu geben. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, um ein paar Pilzen für das Abendbrot zu erbeuten.. Tatsächlich finden wir ein paar Maronen und Birkenpilze, die aber in einem traurigen trockenen Zustand sind. Dieser Sommer gab der Pilzsaison in Brandenburg leider kaum Chancen. Wir verstauen die Pilze in unserem Jutebeutel und fahren weiter. Die Ragower Mühle, eine der ältesten Wassermühlen im Schlaubetal ist nicht mehr fern. Sie ist heute ein technisches Denkmal mit Mühlen-Museum und eine Gaststätte mit regionaler Speisekarte.

Ragow und sein vergessenes Gut

Gegen frühen Nachmittag erreichen wir das kleine Dorf Ragow, wo noch ein echtes altes Rittergut erhalten geblieben ist. 1393 wurde es erstmals in der Ortschronik aufgeführt und erlebte seither viele Veränderungen. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden, nach 14 Besitzerwechseln, die letzten Eigentümer von Witte enteignet. Die komplette Gutsanlage besteht aus einem Herren- und Verwalterhaus, dem Pferdestall und Park mit Erbbegräbnis sowie einem Eiskeller, Obstgarten, Gärtnerei und einem Umfassungsgraben. Aufgrund seiner Bedeutung wurde das Ensemble in die Landesdenkmalliste Brandenburgs eingetragen. Leider ist das Schloss heute in einem erbärmlichen Zustand und verfällt immer mehr. Teile des Daches sind bereits eingestürzt und auch der einstige Zaun vor dem Gebäude ist zerstört. 1998 war es von der Gemeinde an einen privaten Eigentümer verkauft worden, der es sanieren lassen wollte. Leider scheitere er an den Auflagen des Denkmalschutzes. Ein Elend.

Wir drehen mit den Rädern eine Runde durch den Park. Die zwei Teiche sind aufgrund der Sommerhitze und ausbleibenden Regens nur noch schwarze Tümpel. Entlang der teils historischen Wegführungen haben wir einen herrlichen Ausblick auf alte Baumbestände von Eichen und Buchen und schönen Rasen- und Wiesenflächen. Der teils öffentliche Park ist ein gelungenes Beispiel für die Gartenkunst des 19. Jahrhunderts, die den populären Prinzipien der Lenné-Meyerschen Schule folgte. Hinter Ragow ist es nicht mehr weit bis zu unserer Unterkünft, dem Landcafé Rudolph in Oegeln.

“In this house we trust…” - Ein Hof-Besuch bei Karo,Marlen, Rubi und Raba

Am Abend zieht es uns ins 4 km entfernte Beeskow, wo wir mit Karo und Marlen vom Instagram Account Unterm großen Bär verabredet sind. Ich verfolge die beiden und ihren Traum vom eigenen Hof in Brandenburg schon seit langer Zeit und freute mich über eine Einladung zur Hofbesichtigung und einem gemeinsamen Stockbrotbacken am Feuer. Die beiden kreativen Frauen haben nach mehreren Jahren in Berlin beschlossen, dass es Zeit für einen Tapetenwechsel sei. Aber auf einem Hof irgendwo in einem abgehängten Dorf auf dem Land zu leben, kam für sie nicht in Frage. So war der Kauf eines wunderschönen Vierseitenhofes aus dem 18.Jahrhundert im Zentrum von Beeskow ein absoluter “Glücksgriff”. Beide haben noch Jobs in Berlin und pendeln mehrmals die Woche zwischen der Haupt- und der 8000 Einwohner großen Kreisstadt. Karo stammt ursprünglich von hier und kennt natürlich jede Ecke. “Ich geb Euch jetzt eine richtige Local-Tour” ruft sie zur Begrüßung und schiebt dabei den Kinderwagen aus dem Seitentor der Beeskower Burg. Mittlerweile sind Karo und Marlen mit Töchterchen Rubi ein starkes Dreiergespann und starten hier in Beeskow voller Power Ihr Hofabenteuer. Wir machen uns auf den Weg zum historische Stadtkern, der von der fast vollständig erhaltenen Stadtmauer umgeben ist. Pflichtprogramm ist neben der Mauer, natürlich die Marienkirche, eine der größten Kirchen der Mark Brandenburg sowie das "Älteste Haus Beeskow". Wir sind freudig überrascht, als wir unerwartet Zutritt zu dem historische Fachwerkhaus bekommen. Beeskow gefällt uns auf Anhieb.

Nur einen kleinen Fußweg vom Marktplatz entfernt, stehen wir Minuten später vor dem neuen Zuhause der jungen Familie. Sofort nach Ankunft bekommen wir eine Tour über den Hof, der aus 4 Gebäuden besteht. Dem Haupthaus, mittlerweile Zuhause von Karos Mama, einer großen 300 qm großen Scheune, dem ehemaligen Pferstall und dem jetzigen Gartenhaus, in dem sich die drei vorerst eingerichtet haben. “Es ist toll, wir haben in Beeskow alles vor Ort, und trotzdem hat man hier auf dem Hof seine kleine eigene Welt. Sobald man hinter sich die Hoftür schließt, glaubt man auf dem Land zu sein.” schwärmt Karo. Der Hof ist ein Lebensprojekt mit offenem Ausgang. Während wir jedes Gebäude nacheinander bestaunen, lauschen wir gespannt einigen Ideen und Visionen, die nur so aus den beiden heraussprudeln. Sauna hier, Coworkingspace da, “Pop-Up-Store” für Regionales oder vielleicht doch lieber erstmal nur Wohnwagen Stellplatz? Fest steht bisher nur , dass der Hof eine Art Mehrgenerationen-Wohnen und ein Treffpunkt für alle sein soll. Mit einer gehörigen Portion Girlpower wird von den beiden ihr Lebensprojekt “Bauernhof” angepackt. Mit großer Spannung wird auch der Umbau-Baustart des ehemaligen Pferdestalls Mithilfe eines Lieberoser Architekturbüros erwartet. Das Ziel: kommendes Weihnachten soll hier schon mit der gesamten Familie Weihnachten gefeiert werden. Nach einem kurzen überstandenen Schreckensmoment, der auf den Namen Denkmalschutz hört, kann endlich Anfang 2019 das Projekt Nestbau in dem 170qm großen Gebäude starten. “Wie praktisch, dass wir genau gegenüber aus unserem Gartenhäuschen, die Baustelle unserer GOLDEN HORSE RANCH jederzeit beobachten können".” lacht Karo.

Später sitzen wir gemütlich am Gartenhäuschen mit Drinks und backen Marlens selbstgemachten Stockbrotteig (besonders lecker mit Quark!) über der Feuerschale. Hund Raba und Rubi sind natürlich auch dabei. Angeregt tauschen wir uns über unsere neuen Rollen als Brandenburg- bzw. Regionalbotschafter aus. Marlen hat sich nämlich fürs neue Jahr schon ein ganz besonderes Projekt vorgenommen. Sie möchte eine Art Hof-Tour rund um Beeskow organisieren und Berliner und Beeskower näher zusammenbringen. Finde ich selbstredend großartig und wir beschließen darüber weiter in Kontakt zu bleiben. Als es bereits dunkel ist rollen wir mit einem richtigen Glücksgefühl vom Hof. Wir herzen die drei und bedanken uns für dieses schöne Erlebnis, dass uns etwas sehnsüchtig zurücklässt. Das es sich lohnt seine Träume zu verwirklichen, dafür sind die beiden das beste Beispiel. An ihrer Tafel im Gartenhäuschen steht geschrieben: “It was all a dream…until you do it.” Right on, Mädels! Wir sehen uns garantiert wieder und wenn es einen kollektiven Arbeitseinsatz auf dem Hof gibt. Wir radeln rüber!

Bevor der Hahn kräht

… steh ich schon mit dicken Socken und geladenem Akku auf der Türschwelle unserer kleinen Ferienwohnung. Die Morgenstunden sind und bleiben mir die liebsten des Tages. Wenn die Welt noch schläft und sich die Sonne langsam durch die herbstlichen Nebelschwaden kämpft, gehe ich auf Spazierfahrt mit dem Rad und schaue mir die Welt genauer an. Biberspuren, Morgentau, das Pastell-Farbspektrum am Horizont. Schon jetzt kündigt sich ein fantastischer sonniger Herbsttag an.

Mach´s gut, Beeskow!

Nach einem reichhaltigen Frühstück in unserer Pension, packen wir die Räder und fahren Richtung Beeskow zurück. Wir passieren noch einmal die Stadtmauer und müssen der prächtigen Marienkirche vor einem azurblauen Himmel nochmal einen Blick zuwerfen. Auf unserer Strecke nordwärts wollen wir das Gut Hirschaue besuchen. Das Gut ist für seine mustergültige und ökologische Wildtierhaltung überregional bekannt und defintiv einen Abstecher wert. Auf 185 ha hält hier Bio-Landwirt Henrik Staar sein Dam-, Rot- und Muffelwild. Wir versuchen mit ein paar Kastanien die schönen Tiere ans Gatter zu locken, aber die zeigen sich wenig beeindruckt. Es ist Brunftzeit und Rivalitätskämpfe mit Artgenossen sind jetzt wichtiger als Futterspiele. Ein paar mal beobachten wir regelrechte Kämpfe, bei denen sich die Männchen mit einer Vierteldrehung herumwerfen und die Geweihe frontal aufeinander treffen. Zu unserem Pech ist an diesem Tag der Hofladen noch geschlossen und wir fahren weiter. Als wir den Radweg verlassen, müssen wir auf kleinen Landstraßen weiterfahren. Meine Sorgen, der Autoverkehr könnte unser Fahrvergnügen trüben, erweist sich als unbegründet. Es ist Sonntag und wir sind auf den Straßen fast allein unterwegs. Für uns Berliner ein absoluter Luxus. Es radelt sich herrlich zwischen den leuchtenden Bäumen und dem weiten Blick ins Land. Kurz vor unserer Ankunft in Sauen werden wir kurzerhand zu Mundräubern. Kein Wunder, hat doch der Herbst wieder reichlich seinen Tisch gedeckt. Die Straßen sind voller alter Apfelbäume. Genau jetzt liegen die Früchte am Boden, wenn sie am leckersten sind. Wie die Wildbeuter machen wir uns über die guten Stücke her. Jeder von uns sucht die Schönsten zusammen und verstaut sie für daheim. Wie könnte man die auch einfach so liegenlassen? Mit roten Apfelbäckchen machen wir uns auf den Weg zur letzten Station unserer Reise.

Ein Dorf mit Zukunft

Am Nachmittag erreichen wir das kleine 120 Seelendorf Sauen, welches 2015 zum “Schönsten Dorf” gekürt wurde. Der Name geht übrigens auf “sowa”, die slawische Bezeichnung für Eule zurück. Wir schließen unsere Räder in der Ortsmitte am Gutshaus an. Dieses stammt aus dem 18. Jh stammt und ist heute eine Begegnungsstätte der vier künstlerischen Hochschulen Berlins, wo Studierende künstlerische und wissenschaftliche Projekte vorbereiten können. Das Dorf ist wunderbar verträumt und hat durch seine erhaltene historische “Patina” einen besonderen Charme. Man findet hier eine Dorfkirche, einen Dorfanger mit Dorfteich und typische märkische Bauernhäuser. Hinzu kommt, dass es zu etwa drei Vierteln vom Wald umschlossen ist. Mit einem Waldstück hat es etwas ganz Besonderes auf sich. Der Berliner Chirurg Prof. Dr. August Bier begann hier zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein großes forstökologisches Waldexperiment. Ihm gelang es in in relativ kurzer Zeit eine dürftige Kiefernmonokultur in einen artenreichen Wald von hoher Stabilität und Krisenfestigkeit zu verwandeln. Ich werde nie Karos Kommentar vergessen, die August Bier “den Bill Gates des Waldes” nannte. Sie mag Recht haben, denn der Vorzeigewald ist mittlerweile in der ganzen Welt berühmt und hatte bereits Besuch von Wissenschaftlern von 6 Kontinenten. Die August Bier Stiftung pflegt das Erbe des Waldpioniers fort und stellt Besuchern einen speziellen Audio-Guide für Wald-Führungen zur Verfügung. Wir besorgen uns den Guide in der Kantine des Gutshauses und lassen uns auf den 3 km langen Rundweg leiten. Neben dem Wirken August Biers gibt es zusätzlich noch mehrere Kunstobjekte zum Thema „Wald und Kunst im Kontext“ auf der Strecke zu bestaunen. Angst uns zu verlaufen haben wir nicht. Ein Wildschweinsymbol weist den Weg. Als wir später wieder am Gutshaus ankommen, können wir dem Duft der “Cucina Verde” nicht länger widerstehen. Nicht nur Studenten sondern auch spontane Besucher sind im Restaurant des Gutshauses willkommen. Die selbstgemachten Gnocchi schmecken hervorragend. Auf unserem Heimweg nach Berkenbrück passieren wir noch einmal die Spree. Der Spreeradweg ist an dieser Stelle wie einem Bilderbuch entsprungen. Ein letztes Mal an diesem Tag tauchen wir in ein dichtes Waldstück ab. Die Temperatur sinkt sofort um 5 Grad und mystischer Nebel steigt auf. Tapfer kämpft sich die Sonne ein letztes Mal an diesem Tag durch die hohen Bäume und schenkt uns ein wunderschönes Lichtspektakel zum Abschluss unserer Reise.

Vielen Dank an:

meine lieben Tourengirls Jessica und Tabea, Karo und Marlen für Feuer, Stadtführung und neue Ideen und

Seenland Oder-Spree e.V. für die Beratung bei der Streckenwahl!